Spatz

Verleihung des Göttinger INNO-Spatz 2002


Laudatio von Wieland Herold
nachzulesen in Ausgabe 44
der Zeitschrift "Spiel & Autor"

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Ein Kürzel hat Spielgeschichte geschrieben und ich freue mich, dass wir heute die dahinter stehende Person auszeichnen dürfen. Der BMW der Spielewelt ist KMW. Kaum ein anderer hat die letzten 25 Spielejahre in Deutschland so entscheidend mit geprägt wie KMW. Wofür stehen diese drei Buchstaben? Die Nichteingeweihten – gibt's die denn überhaupt? – müssen aufpassen, denn wir haben unseren KMW nicht gepachtet.

Viele Varianten stehen zur Auswahl, mindestens bis zur Kategorie der 500.000 Euro Frage. Raten sie mit? Wir verzichten vorher auf die LEO-Frage, die uns zu dem Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann führt, auch das Kinder-Missions-Werk und den Kindgerechten Mannschaftswettbewerb lassen wir aus, ebenso die schwierigere astronomische Variante, die Kleine Magellansche Wolke:

Wir starten mit der recht leichten politischen Variante:

Lösung A: Der neue Werbeslogan der FDP. Möllemann im Doppelfalschirmsprung mit Westerwelle: KMW: Kanzler mit Weitsicht.

B: Der Einkaufszettel für die Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf. KMW: Kauf mir Wicküler

C: Steubers Credo: KMW: Kanzler mit Westerwelle.

D: Für politische Spontigruppen in den 90ern – bei denen sich unser Auszuzeichnender eventuell nicht ganz unwohl gefühlt hätte – war es ein Slogan, um gegen den Dauerkanzler vorzugehen: KMW: Kohl muss weg!

Die spielerische Variante lautet:

A: KMW = Wenn man die Stimmung vor fünf Jahren hier beim Autorentreffen in Erinnerung hat, dann stand KMW für Knatsch mit Werneck. Inzwischen wissen wir, dass viele regionale Treffen dieser Art der Spieleszene nur gut tun. Berlin lädt im August dazu ein, Haar im November.

B: Wer sich mit „Schnelle Schnecke“, „Riombo“ oder „Auf Teufel komm raus“ amüsiert, betreibt ebenfalls KMW: Knobeln mit Wittig

C: Für einen jedes Jahr aus England anreisenden prominenten deutschen Spielautor gilt auch KMW: Knizia mag Windsor.

D: Hier sind wir zusammengekommen, um den großen Hamburger mit den großen Schuhen (48) zu ehren, ein Mann, der, obwohl immer gut sichtbar, eher im Hintergrund bleibt, dort aber unheimlich viel bewirkt hat: KMW: Knut-Michael Wolf

Nur die Weinkenner unter Ihnen, insbesondere unsere österreichischen Gäste, wissen wahrscheinlich Bescheid, wenn ich nach der einschneidenden Erfindung von August Wilhelm Freiherrn von Babo frage. Der erste Direktor des Önologisch-Pomologischen Instituts in Klosterneuburg entwickelte 1869 die KMW, die Klosterneuburger Mostwaage, die den im Traubenmost enthaltenen Zucker in Gewichtsprozenten angab. Die Umrechnung in Öchsle-Grade ist durch die Formel "KMW x 5" ziemlich genau möglich.

Mit KMWx5 sind wir wieder bei unserem Preisträger:

Der erste Multiplikator besteht ebenfalls aus drei Buchstaben, die den meisten unter Ihnen wahrscheinlich ebenso wenig sagen wie August Wilhelms Erfindung. Unser KMW startete mit dem WWB in die Spielwelt. Wolfs Wirtschaftsbrief. Angeregt durch Walter Luc Haas Postspielzeitung Bumm entwickelte Knut 1977 eine hektographierte Loseblattsammlung für Spiele per Post, am Anfang eine Seite für 6 Mitspieler, die er mit der Zeit aber einer wachsenden Fangemeinde Ende der 70er Jahre anbot. Wenn wir uns ein Bild von ihm damals machen wollen, lassen wir ihn am besten selbst sprechen (aus einer Kurzvorstellung aus dem Jahre 1977): Knut-Michael Wolf, 32 Jahre alt, Deutscher. Besitzt bereits rund 80 Erwachsenenspiele: Lieblingsspiele Dippy, Cosim- und SF-Spiele. Sein Problem: Zu wenig Zeit zum Spielen. Er hat damals auch noch andere Hobbys: Fotografieren (mit eigenem Labor und einer Foto-Ausstellung im Mai 1977 in Hamburg). Er beginnt sich mit Elektronik zu beschäftigen (der erste Computer war fünf Jahre später ein Atari 400), seit Jahren träumt er von einer elektrischen Eisenbahn. Und so ganz zwischendurch arbeitet er im EDV-Bereich, vorwiegend als Programmierer.

Die Beschreibung gilt auch heute noch für KMW, nur dass es inzwischen ein paar Spiele mehr sind, der Computer besser ist und der Traumvorstellung von der elektrischen Eisenbahn am Bildschirm verwirklicht werden kann.

Das Wichtigste an Knuts Spielangebot im WWB, eigentlich ein Vorläufer heutige Online-Spiele, war der ZAT, der Zugabgabetermin. Unter den Gästen in der Stadthalle kann sich wahrscheinlich noch Andreas Steding an spannende Speed Cicuit-Rennen und andere Partien erinnern. KMW, der selbst immer wieder den ZAT vergaß, stellte nicht nur ein Forum für diverse Spiele zur Verfügung, er war gleichzeitig sensibler Beobachter der Spielszene, hatte das Club- und Zeitschriftenumfeld im Blick, so die legendären Ausgaben von „Spiel“ und den Krone Spiele-Club und widmete sich mit der Seite Personalien persönlich allen seinen Abonnenten, besonders dem regelmäßigen Ärger mit der unzuverlässigen Deutschen Bundespost.

KMW zum Zweiten! Am 9.11.1979 läuteten 8 kopierte maschinen geschriebene Seiten eine neue Ära ein. Aus dem WWB wurde die Poppel-Revue, die mit Nr. 35 startete. Der wachsende redaktionelle Teil ließ es zu, nun von einem „Fachblatt für Spieler“ zu sprechen. „eine Amateurzeitung, die“ so KMW damals, „unter dem Selbstkostenpreis vertrieben wird.“: 10 Ausgaben für 11- DM. 1979, dem Startjahr für das „Spiel des Jahres“, damals „Hase und Igel“ von Ravensburger, schuf KMW mit dem „Goldenen Pöppel“ das leserorientierte Konkurrenzprodukt, Vorläufer des „Deutschen Spielepreises“. KMW's Pöppel war nicht an Spiele-Neuerscheinungen gebunden, so dass der Klassiker „Acquire“ von Sid Sackson den ersten Preis bekam, „Hase und Igel“ landete nur knapp abgeschlagen auf dem zweiten Platz, konnte aber in den folgenden drei Jahren die Spitzenposition erklimmen (bei über 300 Teilnehmern; ohne Multiplikationsfaktor). 1980 war KMW zum ersten Mal auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, Voraussetzung für den wachsenden Anteil von Spielrezensionen in der Pöppel Revue. Auch heute noch lesenswert sein erster Messerundgang mit der legendären Edith O' Rial. Hier begründete er eine Übersicht, die wir immer noch schätzen, seine Hinweise auf Spiele, die nicht mehr im Programm der Verlage sind, damals zum Beispiel das hervorragende „Ballonrennen“ bei Ravensburger und „Ultra“ bei Parker, sicherlich wirklich verzichtbar waren die „Panzerschlacht“ und „U-Boot-Jagd“ von MB.

Die Zahl der Abonnenten wuchs schnell, auch Jurymitglieder ließen sich vom Konkurrenzpreis „Goldener Pöppel“ nicht abschrecken, obwohl im ersten Jahr mit juristischen Konsequenzen gedroht wurde. Jochen Corts und Uwe Petersen tauchen 1979 und 1980 als aktive Leser und Mitspieler auf, später auch als Autoren. Familie Heß lobte im Herbst 1980 die „gute Qualität der PR“. Der NDR drehte im gleichen Jahr einen Film über einen Spieleabend im Pöppelhaus. Während der Dreharbeiten begegneten sich KMW und unser Göttinger RW. Viele Klatsch- und Tratschgeschichten ließen sich aus diesen Anfangsjahren der PR noch erzählen, wo jedes Examen, jede Heirat, jedes Kind, jeder Wasserschaden im Spielekeller der Abonnenten noch eine Bemerkung wert war. Stefan Brück, der heute genialer Macher der Marke Alea ist, wird sich sicherlich noch an seine originellen Briefumschläge erinnern, die er aus Illustriertenseiten bastelte, einer davon war auf der Rückseite einer Ausgabe zu sehen. Mit dem Kanzlerwechsel 1982 kam die PR sogar in Kohls Nähe, der damalige Pressesprecher Diether Stolze war Abonnent. Edith Schlichting wird KMW noch heute dankbar dafür sein, dass er sie als Nachwuchsautorin auf der Hamburger Ausstellung „Du und deine Welt“ entdeckte.

Knut Michael hatte einmal angekündigt, es würde noch etwas dauern, bis ihm die Pöppel-Revue über den Kopf wachse, bei seinen 1,98 wahrlich ein vielversprechendes Versprechen. Nach 11 Jahren und 11 Wochen Pöppel-Revue unter seiner Aegide war es 1989 dann soweit. Mit einer Auflage von über 1000 Heften, einem Seitenumfang von über 80 Seiten war seine Zeitung kein Amateurblatt mehr und ihm wahrlich über den Kopf gewachsen. Friedhelm Merz übernahm die Chefredaktion, in seinen Verlag hatte er das Blatt schon früher aufgenommen. Bis zum Dezember des letzten Jahres führte der Merz-Verlag die PR als einzige echte Konkurrenz zur spielbox weiter.

KMW zum Dritten: In seinen Abschiedsworten als Herausgeber der PR machte KMW deutlich, dass er sich freue, nun wieder mehr ans Spieleerfinden gehen zu können. Die vielen Besuche auf den Göttinger Autorentreffen, auch beim allerersten, dessen 20. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, war er dabei, waren Anregung genug, etwas aufzugreifen, das er schon einige Jahre vor seiner Pöppeltätigkeit begonnen hatte. Die damalige Antriebsfeder: Langeweile im Büro, führte zu der Mensch ärgere dich nicht-Variante „Hoppla Tante“, die 1974 bei FX Schmid erschien und ein Jahr später noch einmal als „Avanti“ reüssierte. Gleich sein zweites Spiel war sein erfolgreichstes, wahrscheinlich nicht das finanziell ertragreichste, da brachten König der Löwen-, Pocahontas- und Aladdin-Spiele sicherlich mehr Kohle, Knies und Knete, aber fürs Autoren-Renommee bedeutete die Auszeichnung des strategischen Zweipersonenspiels „Netzwerk“ mit dem Auswahllistenplatz zum „Spiel des Jahres“ 1984 eine ganze Menge. Recht knifflig war auch das abstrakte Deduktionsspiel „Goldraub in London“, das er 1986 bei ASS herausbringen konnte. Leidvoll musste KMW bei diesem Spiel erleben, wie eine gute Spielidee durch die lieblose, wenig atmosphärische Umsetzung eines Verlages kaputt gemacht wird.

KMW zum Vierten: Eher im Hintergrund wuselt er als Spieleagent erfolgreich umher. Herausragend dabei seine Kompetenz, als Regelbearbeiter und Übersetzer von Spielregeln, in die er seine langjährigen Spielerfahrungen mit einfließen lässt. Hier hat er Beachtliches vorzuweisen. Mehr als einhundert Regeln für fast alle deutschen Verlage stammen von ihm, herausragend die Regeln für zwei „Spiele des Jahres“, „Dampfross“ 1984 und „Café International“ 1989. 1991 erhielt er die Essener Feder, eine Auszeichnung für die beste Spielregel des Jahres, für Reinhold Wittigs „Hotu Matua“ (Blatz). Die Verlage schätzen seine Kompetenz. KMW arbeitet äußerst gründlich, seine Regelentwürfe gibt er mehreren Testgruppen, nach getaner Arbeit gesteht er: „Ich fühle mich fast so, als wär's ein Spiel von mir. In vielen Details des Spiels stecken eigene Ideen.“

KMW zum Fünften und letzten: „Immer wenn ich eine gute Idee habe, artet das in fürchterlich viel Arbeit aus, die den Rahmen eines Hobbys sprengt.“ Das galt für die Pöppel-Revue, phasenweise die einzige Spielezeitung auf dem deutschen Markt, das gilt noch viel mehr für seine Spitzenleistung als Webmanager. Wieder einmal hatte er ein Gespür für zukünftige Entwicklungen. Er hat als erster die Bedeutung des Internets als Kommunikationsforum und Informationsbörse im Spielebereich erkannt. Was wäre die Spielszene in Deutschland ohne sein Diskussionsforum, das er 1995 aufgebaut hat? „KMW's Spielpl@tz“ – heute „spielbox-online“ - ist inzwischen die Einstiegsplattform im Netz für alle interessierten Spieler. 1 ¼ Millionen Pageviews, wie es neudeutsch heißt, kennzeichnen den Erfolg der Seite. Die von KMW initiierte Seite für Brett- und Kartenspieler macht Lust auf mehr als Spiele. Mit begeisternder Leidenschaft hat er vieles gesammelt, was auch nur entfernt mit der Spieleszene zusammenhängen könnte. Als da wären: Nachrichten und Gerüchte, Rezensionen zu SpieleNeuheiten, Spielvarianten (neue Ideen für bekannte Spiele), Terminlisten sowie Adressen und Links von Verlagen, Autoren, Clubs, Händlern und anderen Websites. Die Diskussionsforen sind das A und O dieser Seite. Auch Verlage, Spieleautoren und Juroren beobachten sensibel die Reaktionen auf ihre neuen Spiele oder Preisentscheidungen. Einige Freaks scheinen eine Standleitung zu spielbox-online eingerichtet zu haben. Ich denke, Knut, die Auszeichnung heute, ist ganz im Sinne deiner riesigen Fangemeinde.

Wir gratulieren Knut-Michael Wolf, dem Preisträger des Göttinger Autorenpreises INNO-Spatz 2002 ganz herzlich! Das Mostgewicht unseres Preisträgers hat mindestens Eisweinqualität – im Übrigen 25 KMW!

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